Hungrige Fliege
Als ich auf der Terrasse ein Müsli aß, kam eine Fliege herbei und begann, mit ihrem Saugrüssel Joghurtreste, die dünn den oberen Innenrand der Schale bedeckten, abzutasten und dann aufzunehmen. Ich war völlig fasziniert von der ungewöhnlichen Farbe dieses Insekts: ein dunkles, metallisch glänzendes Türkis. Wie bei der Spinne, die ich gestern beobachtet hatte, bewegte sich auch dieses Tier mit einer unglaublichen Schnelligkeit: einzelne Bewegungen in Bruchteilen von Sekunden oder Zehntelsekunden, so daß meine Augen kaum folgen konnten.
Offenbar schmeckten die Nahrungsreste der Fliege — süß, milchig und von verdaulicher Konsistenz, müssen sie auf sie eine starke Anziehungskraft ausgeübt haben, denn sie bewegte sich minutenlang auf der Schale hin und her. Besonders faszinierend waren die Putzbewegungen, mit denen sie dann zuerst ihre beiden Hinter-, danach die beiden Vorderbeine aneinanderrieb. Dabei zeigte sich, daß diese Beinchen nicht starr, sondern biegsam waren, so daß sie sich umeinander bewegen konnten. Diese Gesten waren von frappanter Grazie, viel zarter, eleganter und geschmeidiger, als wir Menschen es je mit unseren Händen und Fingern zustandebringen könnten.
Je genauer ich solche winzigen Tiere beobachte — und hier auf der Dachterrasse habe ich genügend Zeit, Ruhe und Muße dazu —, desto mehr erstaunt mich die Raffinesse und anmutige Schönheit dieser Lebewesen: Es sind Wundergeschöpfe der Natur, ausgestattet mit einem schier unendlichen Reichtum von Bewegungsmöglichkeiten und einem untrüglichen Gespür dafür, was ihnen gerade angenehm und interessant erscheint. Sie bewegen sich mit einer völligen Selbstverständlichkeit und Souveränität, die jedes menschliche Verhalten im Kontrast dazu als plump, ungelenk, bemüht und wirr erscheinen läßt. Der Mensch, und gerade der ältere Mensch, wird durch seinen Verstand ganz offenbar beeinträchtigt und verliert allmählich jegliche spielerische Anmut. Selten findet sich in seinen Bewegungen und Verhaltensweisen noch jene spontane Absichtlichkeit, wie sie all diesen Tieren, selbst den von uns kaum noch beachteten, geschweige denn ernst genommenen, wie diesen Insekten, von Natur aus und ganz selbstverständlich zu eigen ist.